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Eisenbahn- und Straßenisochronen von Berlin und Hannover (1999 - 2000)


Auftraggeber:  Eigenforschung
Partner:  Institut für Raumplanung Universität Dortmund (IRPUD) (Dortmund)

Methodische Aspekte

Carsten Schürmann


Aus Bevölkerungssicht wird die Güte von Verkehrsinfrastrukturen in erster Linie unter Reisezeitgesichtspunkten beurteilt. In welcher Zeit gelangt man von einem Ort zum anderen bzw. welche Orte kann man in einer gegebenen Zeitspanne von einem Quellort aus erreichen? Reisezeitverkürzungen durch den (Aus-)Bau leistungsfähiger großräumiger Verkehrswege sind laut vorherrschender politischer Meinung demnach ein wesentlicher Gesichtspunkt zur Ankurbelung und Stärkung der Wirtschaft. Darüber hinaus steht nicht nur die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Mittelpunkt, sondern auch der Abbau räumlicher Disparitäten soll durch neue Verkehrswege, insbesondere durch die Anbindung peripherer Regionen, erreicht werden. Diese Politiken schlagen sich beispielsweise auf europäischer Ebene in den Ausbauplänen der transeuropäischen Netze (European Communities 1996) oder auf Bundesebene in den Verkehrswegeplanungen (Bundesministerium für Verkehr 1992), zuletzt insbesondere in den 'Verkehrsprojekten Deutsche Einheit', nieder.

Reisezeiten werden - neben anderen Techniken wie z.B. 'Zeitkarten' (Spiekermann, Wegener; 1993, 1994) oder Erreichbarkeitsoberflächen (vgl. Schürmann, Spiekermann, Wegener 1997) herkömmlicherweise mit Isochronen abgebildet. Reisezeitverkürzungen oder Reisezeitunterschiede zwischen verschiedenen Verkehrsträgern sind demnach durch den Vergleich bzw. die Überlagerung von Isochronenkarten für verschiedene Zeitpunkte oder Verkehrsmittel ersichtlich. Reisezeitisochronen umfassen dabei denjenigen Raum, den ein Reisender von einem Ausgangsort aus in einer bestimmten Zeitspanne erreichen kann.

Auf Grundlage der räumlichen RRG GIS Datenbasis transeuropäischer Verkehrsnetze sind im Rahmen eines Eigenforschungsprojektes jeweils 30-, 60-, 90- und 120 Minuten Isochronen für Berlin im Eisenbahn- und Straßennetz berechnet worden. Die Reisezeiten im Eisenbahnnetz entstammen dabei dem DB-Fahrplan (DB 1998), Fahrzeiten im Straßennetz wurden einem Shell Routenplaner (Shell 1997/98) entnommen. Die Isochronen sind unter Zuhilfenahme des Geoinformationssystems ArcInfo feinkörnig berechnet worden. Wobei die Reisezeitinformationen in Form von 'Routen' in den digitalen Verkehrsnetzen vorgehalten worden sind (s. Abbildung).


Abbildung 1: Reisezeitinformationen in den digitalen Verkehrsnetzen


Mit dem ArcInfo-Befehl ROUTEARC sind die Routen zunächst in ein sog. Arc-Coverage transferiert worden. Die Berechnung der eigentlichen Reisezeit von Berlin-Mitte (Museumsinsel) aus zu allen anderen Netzknoten erfolgte anschließend mit dem Befehl NODEDISTANCE. Als Ergebnis erhält man schnellste Reisezeiten über das Netz für alle Netzknoten, sofern sie innerhalb der angegebenen Isochrone liegen. Die Differenz zwischen der berechneten Reisezeit für einen einzelnen Knoten (z.B. 25 Minuten) und der betrachteten Isochrone (z.B. 30 Minuten) wird anschließend in einem weiteren Schritt umgelegt auf das Umland des Knotens (gleichbedeutend mit Haltestelleneinzugsgebiet bzw. Netzzugangsgebiet). Das heißt, die verbleibende Zeit (hier: 5 Minuten) kann bei einer angenommenen Zugangsgeschwindigkeit von 30 km/h auf diese Umlandregion verteilt werden. Dies ergibt im Beispielsfall einen Radius von 2,5 km um den Netzknoten, der ebenfalls noch innerhalb der 30 Minuten Isochrone liegt. Diese Zugangsradien sind in ArcInfo mit Hilfe des BUFFER Kommandos erzeugt worden. Für die Eisenbahn ergibt sich dann beispielsweise für Berlin mit seinem engerem Umland folgendes Bild:


Abbildung 2: Reisezeitisochronen im Eisenbahnnetz (Nahbereich)

Innerhalb von 30 Minuten kann demnach ein Großteil des Kernbereichs von Berlin erreicht werden. Darüber hinaus aber auch einige weiter entfernte Bezirke wie Berlin-Wannsee oder Berlin-Spandau. Die 60 Minuten Isochrone umfasst demgegenüber wesentliche Teile des gesamten Berliner Stadtgebietes plus zusätzlich die wichtigsten Umlandgemeinden wie Potsdam, Königs-Wusterhausen sowie weiter entfernte Kommunen wie Brandenburg oder Rathenow. Schön zu erkennen sind die Finger entlang der S-Bahn und Regionalbahntrassen, die sich relativ weit ins Umland hineinstrecken. Erzeugt man auf gleiche Weise die 60 Minuten Isochronen für das Straßennetz, so ergibt sich, dass die Isochrone keine zusammenhängende Fläche bildet, sondern 'Inseln' auslagert. Diese 'Inseln' sind im Eisenbahnnetz plausibel – repräsentieren sie doch die einzigen Netzzugänge, nämlich die Bahnhöfe. Im Straßennetz sind sie jedoch höchst unplausibel, da – mit Ausnahme der Autobahnen und einiger mehrspuriger Straßen – Netzzugänge im Prinzip an jeder Stelle möglich sind.

Konzeptionell heißt dies, da oben genannter NODEDISTANCE Befehl die Reisezeiten für jeden Knoten berechnet, dass die Knotendichte im Straßennetz erhöht werden muss. Dies jedoch nicht für alle Straßen, sondern nur für Haupt-, Landes- und Bundesstraßen, nicht jedoch für Autobahnen. Dies hat in ArcInfo zur Folge, dass das Ursprungsnetz aufgespalten wird in 'Autobahnen' und 'Sonstige Straßen', bei welchen dann unter Zuhilfenahme des DENSIFYARC Befehl die Knotendichte erhöht wird. Nach dieser Knotenverdichtung werden beide Teile zusammengeführt (APPEND) und die Reisezeitberechnung kann nun erneut durchgeführt werden. Die nächste Abbildung zeigt die Ergebnisse für alle vier Isochronen im Straßennetz:


Abbildung 3: Reisezeitisochronen im Straßennetz (Nahbereich)

Die 60 Minuten Isochrone umfasst im Wesentlichen zwar immer noch nur das Berliner Stadtgebiet (mit kleinen Ausnahmen im Norden – Oranienburg – und Osten), umschließt nunmehr jedoch eine geschlossene Fläche. Die 90 Minuten Isochrone umfasst amöben- bzw. klecksartig Berlin sowie angrenzende Kommunen von Neuruppin im Nordwesten bis Lübbenau im Südosten bzw. Brandenburg im Südwesten bis Eberswalde im Nordosten. Die 120 Minuten Isochrone erstreckt sich entlang der Autobahnen fingerartig noch weiter nach Brandenburg hinein.

Zum Vergleich zeigt die folgende Abbildung alle vier Isochronen im Eisenbahnnetz.


Abbildung 4: Reisezeitisochronen im Eisenbahnnetz (Fernbereich)


Hier erstreckt sich Dank der IC und ICE-Verbindungen die 120 Minuten Isochrone im Westen sogar bis nach Hannover, im Süden bis nach Dresden, im Norden ist Schwerin erreichbar und im Osten reicht sie bis nach Polen hinein. Aber auch die 90 Minuten Isochrone umfasst fast das gesamte Bundesland Brandenburg, darüber hinaus auch noch Wolfsburg, Magdeburg, Salzwedel oder Elsterwerda. Dies sind Haltepunkte für schnelle IR, IC oder ICE-Verbindungen, die damit die Erschließungsqualität für das Umland dieser Haltepunkte gewährleisten.

Ein Vergleich der Ergebnisse zwischen Eisenbahn und Straße widerlegt die landläufige Meinung, Pkw-Reisezeiten und Pkw-Erreichbarkeiten seien viel schneller bzw. besser als die im Bahnverkehr. Aufgrund langer Ampelwartezeiten, Staus und Geschwindigkeitsbegrenzungen umfassen alle vier Reisezeitisochronen für Berlin einen kleineren Raum als diejenigen im Bahnnetz. Darüber hinaus zeigt letzterer Vergleich die Vorteile der GIS Anwendung. Die Isochronen können viel feingliedriger berechnet werden als dies ohne GIS möglich wäre. Es bilden sich sowohl fingerartige Achsen wie auch vorgelagerte 'Inseln' aus.


Abbildung 5: Reisezeitisochronen im Straßennetz (Fernbereich)


Das Fazit dieser Studie lautet: Will man möglichst schnell oder möglichst weit weg von Berlin kommen, so benutze man die Bahn.

Mit der gleichen Technik sind für den Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland, Band Verkehr und Kommunikation, ebenfalls Isochronen im Straßen- und Bahnnetz für Hannover berechnet worden. Im Prinzip kann auf Grundlage der RRG GIS Datenbasis jeder beliebe Ausgangsort im Netz zur Bestimmung von Isochronen herangezogen werden. Im Rahmen des ESPON 1.1.1. Projektes bildet die hier skizzierte Methode den Kernbaustein zur Abgrenzung sog. ‚functionall urban areas’. In VietTrain wird diese Methode Bestandteil sein der Werkzeugsammlung zur Planung und zum Management von Eisenbahninfrastrukturen.


Literatur:

Bundesministerium für Verkehr (1992): Bundesverkehrswegeplan 1992: Beschluss der Bundesregierung vom 15. Juli 1992. Bonn

Deutsche Bahn AG (1998): Kursbuch 1998/1999.

European Communities (1996): 'Decision No. 1692/96/EC of the European Parliament and of the Council of 23 July 1996 on Community guidelines for the development of the trans-European transport network'. Official Journal of the European Communities 39, L 228, 9 September 1996, 1-104.

Schürmann, C., Spiekermann, K., Wegener, M. (1997): Accessibility Indicators. SASI Deliverable D5. Berichte aus dem Institut für Raumplanung 39. Dortmund: Institut für Raumplanung.

Shell AG (1997/98): Der große Shell Atlas 97/98. Deutschland/Europa. Mit elektronischem Routenplaner Deutschland. Mairs Geographischer Verlag: Ostfildern. 1997/98

Spiekermann, K., Wegener, M. (1993): Zeitkarten für die Raumplanung. Informationen zur Raumentwicklung 7. 1993, 459-487.
Spiekerman, K., Wegener, M. (1994): The Shrinking Continent. New Time Space Maps of Europe. Enviroment and Planning: Planning and Design 21, 653-673.


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Weitere Informationen:  Carsten Schürmann

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